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„Diese Freiheit, mitzugestalten, hat mich all die Jahre getragen.“

Christof Heusel im Abschiedsgespräch mit Fadwa Al Homsi. (Anm.d. Red.: Eigentlich achten wir darauf, dass der Fokus immerauf Gesprächspartner:innen liegt. Hr. Heusel hat jedoch auf ein Selfie bestanden. Wir wünschen ihm alles Gute!)

Im Gespräch mit Christof Heusel merkt man, wie sehr ihn die Arbeit bei der Keppler-Stiftung Freude bereitet hat. Hier spricht jemand, der die Organisation nicht nur verwaltet, sondern mitgestaltet hat – mit Haltung, mit Ideen und mit einem klaren Blick auf das, was Menschen in sozialen Einrichtungen brauchen. Nach über zwei Jahrzehnten als Leitung für Grundsatzfragen, Strategie und Entwicklung geht Heusel nun in die Passivphase seiner Altersteilzeit. Zeit für einen persönlichen Rückblick.

Sein Weg zur Stiftung begann beim Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart, wo er zunächst in Calw die Caritas-Kreisstelle aufbaute und dann in Stuttgart als Leiter der Stabstelle Caritaskreisstellen unter anderem die damalige Regionalisierung des Verbandes als Projektleiter mitgestaltete. Als dann in seiner Zeit als Bereichsleiter im Trägerbereich des DiCV die Entscheidung fiel, die stationären Einrichtungen in eine Stiftung auszugliedern, wurde Heusel gefragt, ob er zur neu gegründeten Stiftung wechseln wolle. „Ich hatte eigentlich anderes vor und durchaus verlockende Angebote“, erinnert er sich. Doch dann kam im Herbst 1999 dieses Gespräch mit Alfons Maurer, der als künftiger Vorstand der Keppler-Stiftung feststand. „Er fragte nicht, was ich leisten kann, sondern was mich interessiert. Was ich gestalten möchte.“ Das, sagt Heusel, sei ungewöhnlich gewesen – und genau das, was ihn überzeugt habe.

„Diese Freiheit, mitzugestalten, hat mich all die Jahre getragen. Ich durfte in all den Jahren eine Aufgabe ausüben, die nicht nur meinen beruflichen Alltag mehr als gefüllt hat, sondern auch mein Herz und meine Seele.“

Im Jahr 2000 beginnt er in der frisch gegründeten Keppler-Stiftung – eine Zeit des Aufbruchs. „Wir mussten improvisieren, oft mit wenig Mitteln –Wir hatten noch keine Strukturen, kein Briefpapier, keine Visitenkarten – und ein neues Team mit eher überschaubarer Ahnung von Altenhilfe und Pflege. Die besten Voraussetzungen also für ein echtes Abenteuer! Aber wir hatten Mut, Ideen, Lust auf Gestaltung – und ein gesundes Gottvertrauen, dass das schon alles werden wird. Und wir hatten Freiraum und die nötige Motivation und Energie“.

Es war eine Aufbauphase mit Pioniergeist, in der sehr früh strategische Ziele entstanden, die bis heute in ihren Grundformen gelten.

Gleichzeitig haben sich die Bedingungen verändert. Der Zeitgeist, gesellschaftliche wie politische Anforderungen und nicht zuletzt die veränderten Rahmenbedingungen in der Altenhilfe haben auch die Grundsatzfragen geprägt. „Noch vor fünfzehn Jahren waren viele Menschen, die in eine Einrichtung kamen, mit allem zufrieden“, erinnert er sich. „Es herrschte eher eine dankbare Haltung, man ordnete sich der Struktur unter – da spielte Lebensqualität in der heutigen und von uns gewollten Dimension kaum eine Rolle.“ Heute sei das anders. Menschen erwarten Individualität, Autonomie, Selbstbestimmung, Mitsprache. „Sie richten sich nicht mehr nach der Organisation – sie wollen, dass sich die Organisation nach ihnen richtet.“ Wir beschäftigen uns mit Fragen wie: Wie gestalten wir Pflege, die den Menschen in seiner Individualität ernst nimmt? Wie können wir „gut Alt werden“ mitgestalten? Und wie schaffen wir Strukturen, die attraktiv sind, die Mitarbeitende halten und sie nicht ausbrennen?

Gleichzeitig spricht er offen über die Gratwanderung zwischen Anspruch und Realität. „Unsere Ideen von Lebensqualität, guter Pflege und Unterstützung stehen oft im Spannungsfeld mit dem, was unter den gegebenen Bedingungen überhaupt leistbar ist. Da die Balance zu finden, ist eine dauerhafte Herausforderung: Wir geben Versprechen an unsere Kundinnen und Kunden – aber das darf nicht dazu führen, dass diese für unser Personal nicht mehr leistbar und umsetzbar sind.“

Die Umsetzung beginnt für ihn immer vor Ort – in den Einrichtungen und Diensten. „Dort wirkt die Keppler-Stiftung – ganz konkret und am Menschen. Wir haben tolle Mitarbeitende vor Ort. Und auf ihre Expertise und Engagement zu vertrauen, war mir besonders wichtig.“ Heusel stand mit den Leitungen und den Leitungsteams im regelmäßigen Kontakt und nahm wahr, was sie vor Ort beschäftigt, wo Unterstützung wichtig ist.

Nach wie vor, sagt Heusel, müsse man zentrale Themen der Stiftung wie bspw. Lebensqualität, Sozialraumorientierung, Arbeitgeberattraktivität, Haltungsfragen, immer wieder reflektieren. Nicht als abstrakte Werte, sondern als konkrete Handlungsperspektiven: „Wir können viel aufschreiben, Strategien entwickeln, Konzepte erstellen, Forderungen formulieren – aber entscheidend ist, ob wir die Konzepte und Strategien selbst vorleben und sie erkennbar in die Welt bringen“ Und uns dazu immer wieder die Frage stellen: Wie gewinnen wir Menschen dafür?

„Das braucht Zeit, Kapazitäten – und Vertrauen. Aber es lohnt sich.“ Prozesse, so Heusel, gelingen nur, wenn sie transparent sind, ehrlich, Perspektiven aufzeigen und auf Augenhöhe gestaltet werden. Wenn man Menschen mitnimmt.“

Viel hängt an einer transparenten Kommunikation und Zielsetzung. Bei Einstellungen neuer Kolleg*innen in den Leitungsteams stellte er sich die Frage: „Will diese Person den Weg der Keppler-Stiftung mitgehen? Passt sie zu unserer Führungsphilosophie, hat sie Lust, mitzudenken, mitzugestalten?“ Und wenn das im Laufe der Zeit einmal nicht mehr passte, war es ihm wichtig, ehrlich ins Gespräch zu gehen und wenn es gar nicht anders ging - „sich im Guten zu trennen – auch das ist wichtig.“

Ein zentrales Thema war für ihn dabei immer auch die Vernetzung im Sozialraum. „Die Herausforderungen in der Altenhilfe – demografischer Wandel, Verantwortung für die Daseinsvorsorge, Fachkräftemangel, Digitalisierung, gesellschaftliche Transformation, neue Wohnformen – lassen sich nicht isoliert lösen. Es braucht starke Netzwerke, innerhalb und außerhalb der Stiftung. Und ein gemeinsames Verständnis: Wir gestalten gemeinsam – nicht jeder für sich. Netzwerken geht nicht von allein, da ist intensives Dranbleiben gefragt, Beziehungs- und Kontaktpflege, Zuhören und Ideen entwickeln.

Manches war im Laufe der Jahre mutig und lehrreich. Der Einstieg in den ambulanten Bereich zum Beispiel begann holprig. „Die erste Sozialstation – da lief alles schief, was schieflaufen konnte.“ Doch man blieb dran. „Wir waren überzeugt, dass dieser Weg, ambulante Angebote zu schaffen, richtig ist.“ In der Begegnung mit Akteuren und Partnern vor Ort sollte nie der Eindruck erweckt werden: Jetzt kommt die große Stiftung und übernimmt. Sondern: Wir machen das zusammen in Kooperation.

„Wir waren und sind wirtschaftlich stabil, aber nicht reich – und oftmals innovativ und ein paar Schritte voraus.“ Vordenker sein – das verstand Heusel nicht als Selbstzweck, sondern als Verantwortung. Und auch die eigenen Grenzen zu kennen. Gab es Entscheidungen, bei denen er persönlich nicht mitgehen konnte? „Ich habe mich nie verbiegen müssen. An meine Grenzen bin ich selten gekommen – und wenn doch, dann fanden wir einen Kompromiss. Ich hätte allerdings nichts gemacht, was meiner Haltung und Werteorientierung völlig konträr gewesen wäre.“

Die Balance zu halten – zwischen Anspruch und Realität, zwischen Strategie und Alltag – das war vielleicht die größte Konstante in all den Jahren. Und bei all den komplexen Themen nicht den Fokus zu verlieren, worum es geht: Menschen mit Unterstützungsbedarf professionell zu pflegen und zu betreuen, ihnen auch in schwierigen Situationen eine Perspektive für eine Lebensqualität zu geben.

Was ihn getragen hat? „Die Freiheit zu gestalten – und die Menschen – in der Stiftung, aus den Netzwerken und natürlich aus dem privaten Umfeld. Das klingt vielleicht abgedroschen: Aber die Begegnungen und der Austausch mit den Kolleg:innen haben mich erfüllt. Wenn ich gespürt habe, da will jemand wirklich etwas bewegen, dann war das meine größte Motivation.“

Und mit Blick auf die Keppler-Stiftung sagt er zum Abschied:

„Ich bin überzeugt: Die Stiftung hat ein gutes und solides Fundament. Und die richtigen Menschen, um ihren Weg in eine gute Zukunft in gemeinsamer Verantwortung weiterzugehen. Das wünsche ich der Stiftung und freue mich, diesen Weg künftig von der Seitenlinie zu verfolgen. Und wirklich dankbar blicke ich zurück auf die wunderbare Zeit in der Stiftung, auf die vielen Begegnungen und die Möglichkeit, mich verwirklichen zu können. Das war immer ein Privileg“.